Vorab möchte ich sagen, dass sich dieser Artikel allgemein auf introvertierte Kinder bezieht und im Speziellen auf junge INFJ-Persönlichkeiten und hochsensible Kinder.

Ich habe letztes Jahr einmal einen weisen Satz gelesen, dass es keine aufmerksamkeitsgestörten Kinder gibt. Es gibt nur erwartungsgestörte Erwachsene. Dies wurde in einem Artikel über Kinder mit ADHS geschrieben. Allerdings kommt es erstens nicht selten vor, dass INFJ-Persönlichkeiten auch ADHS haben. Und zweitens ist das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität ein Teil der Trinität von HSP, ADHS und Autismus, weil alle 3 Persönlichkeitstypen zu viel fühlen. Die meisten, durchschnittlichen Eltern haben gewisse Erwartungen an ihre Kinder, weil sie früher selbst so waren oder die Gesellschaft bzw. die Massenmedien ihnen ein bestimmtes Standardbild vermittelt hat, wie Kinder eben sind. in paar Beispiele gefällig?

• sie sind laut
• sie sind oft schmutzig
• sie lieben Süßes
• sie haben andere, oft nicht kindliche Interessen als andere Kinder
• sie wollen instinktiv Dinge anders - auf eine eigene Art und Weise - machen als andere
• sie toben den ganzen Tag herum  
• sie sind oft unachtsam und machen Dinge kaputt

Die typischen Klischees eben über Kinder, die aber auf viele introvertierte Kinder so kaum zutreffen. 

Der Knackpunkt ist jetzt, wie die Eltern auf solch ein untypisches Verhalten ihrer Kinder reagieren. Dürfen die Kinder so anders sein, wie sie sind oder müssen sie sich ändern? Mit diesen beiden Grundsatzfragen steht und fällt, ob ein Kind glücklich aufwachsen darf oder nicht. Viele Eltern haben auch Erwartungen und Ansprüche an ihre Kinder, weil sie wollen, dass sich ihre Kinder gut in der Gesellschaft anpassen können, um nicht negativ aufzufallen.

Wie werden Eltern achtsam? Falls die Eltern von introvertierten Kindern selbst INFJ oder hochsensitive Persönlichkeiten sind, haben die Kinder das Glück, Eltern vor sich zu haben, die wissen, was dieser seltene Persönlichkeitstyp braucht, um ein glückliches Leben führen zu können. Die Eltern sind selbst Empathen und haben damit auch das nötige Einfühlungsvermögen für ihre Kinder. Sind die Eltern in ihrer Persönlichkeit gut gefestigt,  wäre das der Optimalfall. 

Das wichtige Element in der Eltern-Kind-Beziehung ist vor allem, dass da zwei oder mindestens ein erfahrener Mensch ist, die / der sich für einen oder mehrere jüngere Menschen verantwortlich fühlen und sie diese jungen Menschen sicher ins Leben begleiten und führen können, bis diese jungen Menschen selbst die Verantwortung für sich übernehmen können. Dazu braucht es viel gegenseitiges Vertrauen in der Beziehung, um die nötige Sicherheit den Kindern zu vermitteln. Und Respekt ist niemals eine Einbahnstraße, sondern beruht immer auf Gegenseitigkeit. Auch Kinder können (altersgerecht) schon tiefgründige Gespräche führen, die von den Eltern durch aktives Zuhören begleitet werden müssen.

Die Ansichten, was der richtige Weg ins selbstständige Leben ist und wie die Welt zu sehen ist oder gesehen werden kann, driftet in der Praxis oft weit von einander ab. Und das insbesondere dann, umso weiter Eltern und Nachwuchs in ihren Persönlichkeiten und in ihrer Lebensphilosophie von einander abweichen. Man stelle sich bei einem INFJ-Kind ein total verkopftes, pragmatisches, spießbürgerliches Ehepaar vor, das mit dem Mantra "...weil man das eben so macht." durchs Leben geht und jede Abweichung dieses Kindes mit Spott, Strafen und Liebesentzug quittiert. Ein absoluter Albtraum für alle Seiten!

"Hochsensibel? Wenn der Bengel nicht spurt, gibt es eins hinter die Ohren. Dann funktioniert er wieder!"

(Zitent - Gott sei Dank - unbekannt)

INFJ-Kinder und ähnliche Persönlichkeiten brauchen viel Ruhe, Verständnis, Freiraum und natürlich Liebe und Respekt. Ihr Anderssein muss in Ordnung sein. Auf der anderen Seite brauchen INFJ-Kinder aber auch Führung und Struktur. Wichtig ist es auch, diesen Kindern beizubringen, sich ihren Ängsten im verträglichen Maß zu stellen, dass sie willens sind, regelmäßig ihre Komfortzone zu verlassen, um ins Tun und Entdecken zu kommen. Hier ist sehr viel Einfühlungsvermögen gefragt, dass die Eltern ihre introvertierten Kinder nicht verschrecken oder überfordern. Junge, introvertierte Menschen müssen unbedingt lernen, Grenzen zu setzen, ihre Fähigkeiten als positiv wahrzunehmen und diese auch einzusetzen. INFJ-Kinder zu erziehen, ist definitiv anspruchsvoll für Eltern. An dieser Stelle erinnere ich vorsichtig, dass Eltern sein kein Ausbildungsberuf ist, den man sich mit einem genormten IHK-Abschluss erwerben kann. Eltern wurden zuvor und werden in ihrem eigenen Leben und während der Elternschaft in der Schule des Lebens ausgebildet. Gute Eltern bilden sich selbst in entsprechenden pädagogischen Themen weiter, um unnötige Fehler zu vermeiden und / oder beziehen Familientherapeuten mit ein, um Dinge zu klären, die außerhalb der Sachkompetenz der Eltern liegen. Die Einbeziehung eines Familientherapeuten, o. ä. heißt nicht, dass ein Kind als krank abgestempelt wird, sondern, dass sich hier alle Beteiligten um eine optimale und professionelle Lösung bemühen.

Heute entscheidet bereits die Wahl des richtigen Kindergartens über die Zukunft eines Kindes. Für INFJ-Kinder und ähnliche introvertierte Persönlichkeiten gilt das ganz besonders und im erweiterten Sinne. 

Wissenschaftliche Studien haben herausgefunden, dass Kinder bereits im Kindergarten massiv sozial geprägt und in ihrem Sozialverhalten leider in der Regel zum Negativen geprägt werden. Da gibt es dieses Paradebeispiel, wo ein Kind vor dem Kindergartenbesuch einem anderen Kind einen seiner beiden Bonbons, die das Kind hat, anbietet und bereitwillig abgibt, weil das andere Kind keinen Bonbon hat. Im Kindergarten verlernen Kinder das Teilen und behalten alles, was sie haben, für sich. Das ist bestimmt nicht INFJ- oder HSP-like!

Kindergärten, die besser dem Wesen von introvertierten Kindern entsprechen, sind die pädagogischen Konzepte von Waldorf und Montessori, wo die Individualität und die persönliche Entfaltung viel mehr geschätzt werden als in Regelkindergärten. Ein Waldkindergarten wäre ebenfalls aufgrund der Naturnähe eine gute Alternative für introvertierte Kinder einen Ort zum Heranwachsen, Lernen und Erkunden im Einklang mit der Natur zu erleben, was gerade von dieser Zielgruppe besonders positiv aufgenommen werden wird.

Ein ganz wichtiges Lernziel in der gemeinsamen Erziehung mit anderen Kindern ist es, dass jeder junge Mensch lernt, dass er / sie / sier für sich in Ordnung und wertvoll ist und einen sinnvollen und positiven Platz in einer größeren Gemeinschaft einnehmen kann.

Das Konzept aus dem Kindergarten sollte später in der Schule weitergeführt werden, weil ein introvertiertes Schulkind spätestens hier in einer Regelschule große Schwierigkeiten bekommen wird, wenn alleine schon der Leistungsdruck in den höheren Klassen losgeht. Von den zwischenmenschlichen Problemen möchte ich hier gar nicht erst anfangen.

Ich kann Dir hier eine Hitliste der Schulformen nennen, die am besten für junge INFJ geeignet sind. Allerdings hat jede dieser Schulformen seine natürlichen Vorteile und Nachteile.

Die Montessori-Schule ist die für INFJ, HSP und andere introvertierte Menschen die am besten geeignetste Schulform. Lernen nach eigenem Tempo und eigenen Interessen.

Vorteile

• Selbstständigkeit und Eigenverantwortung wird deutlich gefördert
• dabei steht vor allem eine individuelle Förderung jedes Kindes im Mittelpunkt
• Empathie und soziale Verantwortung werden hier ebenfalls groß geschrieben

Nachteile

• wenig Struktur, die aber gerade junge Menschen zur Orientierung brauchen. Insbesondere INFJ-Persönlichkeiten.

Die Waldorf-Schule verfolgt ein ganzheitliches Bildungskonzept, das ein besonderes Augenmerk auf die künstlerische Ausbildung und die Persönlichkeitsentwicklung legt.

Vorteile

• Kreativität in jeder Form und Selbstentfaltung stehen an erster Stelle, was sehr in der Natur eines INFJ liegt.
• Jedes Kind wird als wertvolles Individuum mit einem einzigartigen Potenzial gesehen.
• Wertschätzung von Empathie und sozialer Verantwortung sind Grundsteine der Waldorf-Pädagogik.

Nachteile

• Die Ausbildung der Rationalität bleibt leider oft vernachlässigt, was zu einer mangelnden Fähigkeit von klaren Analysen führen kann.

Freie Schulen haben  einen sehr offenen Bildungsansatz und lassen junge Menschen ihrer eigenen Meinung, ihrer eigenen Persönlichkeit und ihren eigenen Interessen sehr viel Raum.

Vorteile

• Hoher Grad an Selbstbestimmung und Mitgestaltung der Lerninhalte
• gute Förderung von Kreativität und sozialen Kompetenzen
• Wenig Leistungsdruck
• Persönliche und emotionale Entwicklung stehen im Vordergrund

Nachteile

• Mangelnde Struktur und zu viel Freiheit für einen jungen Menschen, die schnell zur Überforderung wird

Das IB-Programm ist für INFJ-Kinder insgesamt gut geeignet und kombiniert eine hochwertige akademische Leistung mit Kreativität, ethnischen Werten und einer globalen Weltanschauung.

Vorteile

• Kritisches Denken und interdisziplinäres Lernen
• Förderung von ethnischem Bewusstsein und globaler Verantwortung
• Vielfalt und kulturelle Offenheit
• eine sehr gute Vorbereitung auf eine akademische oder gesellschaftliche Karriere

Nachteile

• hoher Leistungsdruck, mit dem ein INFJ aber lernen kann umzugehen

Für eine folgende akademische Ausbildung wäre eine Universität mit hohem Ansehen das Beste, weil hier eine Top-Betreuung der Studierenden in kleinen Studiengruppen, erstklassiger Lehrstoff und ein Abschluss mit sehr gutem Ruf das Ergebnis Deiner Investitionen sein wird, der Dir beruflich viele Türen öffnen wird. Und ja: diese Elite-Unis befinden sich in der Regel nicht in Deutschland. Aber dafür hast Du ja einen internationalen Abschluss gemacht, nicht wahr?

Es gibt Schulen, die einen solchen Schwerpunkt gezielt anbieten, um zwischenmenschliche und soziale Fähigkeiten gezielt zu fördern. Gerade für introvertierte und schüchterne Kinder besteht hier die gute Chance auf eine hohe Lernkurve.

Vorteile

• Starker Fokus auf emotionale Intelligenz und zwischenmenschliche Fähigkeiten, was ich heutzutage für sehr wichtig halte
• weniger Leistungsdruck zugunsten der individuellen Entwicklung jedes Menschen
• Gute Vorbereitung auf spätere soziale und emotionale Herausforderungen im Leben

Nachteile

• eventuell zu wenig akademische Struktur im Unterricht, um einen INFJ zu stimulieren, die intellektuelle Herausforderung zu suchen
• zu viel soziale Interaktion kann einen INFJ auch überfordern

In demokratischen Schulen haben die Lernenden eine hohe Autonomie, Beteiligung und Verantwortung über ihren eigenen Lernprozess.

Vorteile

• Die intrinsische Motivation zum eigenständigen Lernen wird gefördert.
• Raum für persönlichen Entfaltung und Verantwortungsbewusstsein wird stark ausgeprägt.
• wenig Leistungsdruck zu Gunsten individueller Bedürfnisse

Nachtteile

• Mangelnde Struktur im System kann für INFJ-Persönlichkeiten problematisch werden.
• Nicht alle Demokratischen Schulen bieten das gleiche Niveau an emotionaler und sozialer Unterstützung.

Die öffentliche Regelschule eignet sich am wenigsten für introvertierte Kinder sowie im speziellen INFJ und HSP Kinder. Das starre System, die Lernatmosphäre und die Lehrmethoden werden dieser Zielgruppe nicht gerecht. 

Alternativ können Eltern einen passenden Nachhilfelehrer engagieren, der gut auf introvertierte Kinder eingehen kann und Lerndefizite abbauen oder verhindern kann.

Vorteile

• Rationalität, Struktur und analytisches Denken werden übermäßig vermittelt, was die Schwachpunkte des INFJ-Persönlichkeitstyps darstellt.
• Breites Bildungsangebot
• in der Regel eine gute Vorbereitung auf eine berufliche und akademische Herausforderung, wenn man gute Noten hat.
• Vielfältige soziale Interaktionen und Erfahrungen

Nachteile

• Standardisierte Lehrmethoden und feste Lehrstoffpläne, die kaum Spielraum lassen.
• Vorgegebenes Winner-Loser-System
• Wenig Raum für emotionale Entwicklung. Eher das Gegenteil scheint das Lernziel zu sein.
• Vielfältige soziale Interaktionen und Erfahrungen, die aber schnell unkontrolliert und auch unangenehm werden können.

Wie Du siehst, gibt es mehr Möglichkeiten, als Du bisher gedacht hattest, das Schulleben eines introvertierten Kindes bedarfsgerecht zu gestalten und diesen jungen Menschen nicht zwangsläufig zum Außenseiter, Nerd oder Freak werden zu lassen. Umso besser diese Schulzeit und die bedarfsgerechte Begleitung der Eltern war, desto besser dürfte sich ein junger Mensch zu einem selbstbewussten, schon recht gefestigten jungen Erwachsenen entwickeln können.

Die Pubertät ist hier für alle Beteiligten sicherlich eine besondere Herausforderung, die es zu durchleben gilt.

Später zum Schulende oder nach dem Studium sollte klar sein, dass ein junger, introvertierter erwachsener Mensch wahrscheinlich weder einen o8/15-Beruf noch eine durchschnittliche Karriere hinlegen wird oder dies möchte. Eine gute Schulbildung eröffnet viele Möglichkeiten. Ein gute Berufsausbildung oder ein hochwertiges Studium baut dies aus. Ein junger INFJ sollte sich zeitig über seine beruflichen Ambitionen klar werden, ohne von außen unter Druck gesetzt zu werden. Das schreckt nur ab. Eine Möglichkeit, die das Regelschulsystem (bewusst?) auslässt, ist die Selbstständigkeit, die aber gerade für INFJ-Persönlichkeiten oft die richtige Wahl sein kann.

Es gibt da draußen so viele junge Menschen, die nach der Schule noch nicht wirklich wissen, was sie beruflich einmal werden wollen. Gerade heute ist das nochmal doppelt schwierig, weil in Grunde klar ist, dass Du im Leben wahrscheinlich mehr als nur einen Beruf im Leben haben wirst. Aber irgendwo muss Du auch mal anfangen. Und dann ergibt sich zur richtigen Zeit das Eine oder Andere, was passen wird.

Welche beruflichen Laufbahnen sich besonders gut für die seltene INFJ Persönlichkeit eignen, liest Du in diesem Blogartikel von mir.