Sutemi Waza zählen eher selten zu den Spezialtechniken von Judoka. In diesem Beitrag möchte ich Dir eine zwar allgemein bekannte, aber immer noch unterschätze Selbstfalltechnik näher vorstellen, die mir persönlich schon recht früh in meiner Judolaufbahn positiv aufgefallen ist.
Tani Otoshi ist eine vielseitig einsetzbare Technik, die man einem Judoschüler schon recht früh vermitteln kann. Dieser Wurf ist durchaus für viele Budoka geeignet, um das persönliche Technikrepertoire zu bereichern. Als zentrale Spezialtechnik eines Judoka ist mir Tani Otoshi allerdings noch nicht begegnet.
Für Judoka und andere Kampfsportler / Kampfkunstinteressierte zeige ich Dir hier die technischen und taktischen Einsatzmöglichkeiten dieses Yoko Sutemi Waza vor allem für Judo und Jiu Jitsu auf.
Tani Otoshi - Der Talfallzug
Meine persönliche Beziehung zu diesem Judo-Wurf
Wie den meisten Judoka wurde mir Tani Otoshi als Kontertechniken gegen Eindrehtechniken wie Seoi Nage, Harai Goshi oder Uchi Mata gezeigt. Ich hatte damals 1986 meinen Gelbgurt und merkte, das diese Technik für mich recht schnell erlernbar und anwendbar war. Da ich damals eher defensiv-abwartend kämpfte, erschien mir dieser Wurf sehr ideal, mein Lieblingswurf zu werden. In meiner Begeisterung, einen Wurf gelernt zu haben, der mir leicht fiel und mit dem ich deutlich mehr Erfolg hatte, als mit anderen Würfen im Randori / Sparring, erzählte ich meinem damaligen Lehrer davon. Dieser meinte dazu nur: "Ach dieser einfache Schiss! Nimm Dir lieber einen anderen Spezialwurf wie Seoi Nage, Harai Goshi oder Uchi Mata...was alle anderen auch machen." Diese Antwort war für mich natürlich enttäuschend. Ich konzentrierte mich - wie geheißen - also mehr auf Eindrehtechniken nach vorne als Spezialwurf - namentlich Seoi Nage und Harai Goshi - und Tani Otoshi geriet aus dem Focus, obwohl mich dieser Wurf immer wieder aus brenzlichen Situationen gerettet hatte, wenn ich in der Defensive war. Tani Otoshi hatte bei uns damals ein Synonym: Konterwurf.
Erst Anfang er 90er unter einem anderen Judolehrer, der Tani Otoshi mit in seinem Repertoire pflegte, lernte ich, Tani Otoshi auch offensiv einzusetzen, was mir sehr gefiel. Doch immer im Training Eindrehtechniken nach vorne in den Vordergrund gestellt.
Ich frage mich, was aus meinem Tani Otoshi geworden wäre, wenn ich wirklich konsequent mit dieser Technik weiter gearbeitet hätte und nicht auf meine damaligen Trainer gehört hätte? Derzeit bin ich nicht auf der Judomatte aktiv, aber wenn ich mich wieder dazu entschließe, zum Judo zu gehen, wird dieser Wurf wieder eine wichtige Rolle spielen...vielleicht wichtiger als all die Jahre zuvor. Inspiration und Wissen habe ich jetzt reichlich gesammelt.
So sah Tani Otoshi früher aus
Tani Otoshi ist ursprünglich eine Wurftechnik aus dem Kito Ryu Ju Jitsu, das starken Einfluss auf die Entwicklung des Judo hatte. In der Koshiki no Kata aka Kito Ryu no Kata findest Du die Urform des Tani Otoshi, die sich damals aber noch deutlich von der heutigen Form unterschied, obwohl nach dem gleichen Prinzip gearbeitet wurde (starke Gleichgewichtsbrechung über Ukes Fersen nach hinten und Tori geht mit zu Boden).
Das folgende Video rechts zeigt das offizielle Lehrvideo des Kodokan bei der Demonstration von Tani Otoshi in der klassischen Variante. Damals wurde dieser Judowurf nicht mit so engem Körperkontakt geworfen wie heute. Es erinnert eher an einen Yoko Otoshi, der nach hinten oder hinten-seitlich geworfen wird. Dieses Wurfprinzip zur Seite angewandt ist tatsächlich ein Yoko Otoshi. Werfe ich mit diesem Prizip Uke nach vorne, wenn sich Uke nach vorne lehnt oder noch besser schiebt, ist es ein Uki Waza. Ein Prinzip, drei verschiedene Wurfrichtungen, drei verschiedene Namen bzw. klassische Wurftechniken. Normalerweise wurde der Wurf auch aus einer tiefen Schrittstellung (Jigotai) ausgeführt, was sehr schnelle, dynamische Angriffe eher etwas einschränkt.
Aber auch in der Old-School-Variante ist diese Judotechnik erfolgreich zu werfen. Sollte sich Uke (plötzlich) seitlich bewegen, wird eben ein Yoko Otoshi daraus. Mit den Jahren haben sich viele gute Varianten und verschiedene Faßarten zu dieser Technik entwickelt. Die wichtigste Veränderung ist aber, dass Tani Otoshi heute viel offensiver zum Einsatz kommt als früher.
Bekannte Judoka, die Tani Otoshi erfolgreich in ihrem technischen Repertoire einsetzen sind beispielsweise:
- Han Ho San, 9. Dan
- Katsuhiko Kashiwazaki, 8. Dan
- Jesús Verano Fernández, 8. Dan
- Frank Wieneke, 8. Dan
- Rhonda Roussey, 6. Dan
Am Tani Otoshi muss also etwas dran sein, dass ihn zu einem wirklich guten, aber allgemein unterschätzten Kampfwurf macht. Als erfolgreicher Wettkampfwurf im Judo und im BJJ ist er heute nicht mehr wegzudenken.
So bringst Du Dich optimal in Position
Für Tani Otoshi gibt es eine besondere Position bzw. Situation, wo sich diese Technik perfekt anbietet. Roy Hash, 5. Dan, ehemaliger Nahkampfausbilder der US Army Rangers und Special Forces, erzählt dazu auf einem seiner Seminare eine kleine Anekdote über die Kriegsführung zur See, die Dir diese perfekte Position zum Angriff beschreibt. Die anderen Teile der Videoreihe sind auch sehr empfehlenswert. (In englischer Sprache)
Verschiedene Eingänge und Bewegungsrichtungen
Der spanische Judolehrer Jesús Verano Fernández, 8. Dan zeigt Dir in seinem YouTube-Video die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten des Tani Otoshi - ob offensiv oder defensiv. Auf die Wurfvariante Waki Otoshi und Kombinationen, Finten und verschiedene Kontersituationen geht er ebenfalls ausführlich ein. (In spanischer Sprache)
Der bombensichere Griff
Arkadiy Aronov Sensei, 7. Dan, aus Uzbekistan zeigt Dir unter anderem, wie man eine optimale Kumi Kata (Grifftechnik) durchsetzt, um Uke stets unter Kontrolle zu haben und dann erfolgreich anzugreift. Es werden verschiedene Möglichkeiten zum Angriff mit anschließender Bodentechnik gezeigt. YouTube-Kanal des Spartak Sports Club. (in englischer Sprache)
Tani Otoshi gegen einen abgebeugt kämpfenden Gegner
Tani Otoshi kann auch gegen extrem abgebeugt kämpfende Gegner erfolgreich eingesetzt werden. Hier kommt der Wurf etwas zurück zu seinen Anfangstagen im Judo, weil er früher klassisch eher aus einer tiefen Verteidigungsstellung geworfen wurde und mit nicht so extremen Körperkontakt wie heute. Steve Scott Sensei, 7. Dan, erläutert Dir im linken Video, wie es am besten geht. Das rechte Video zeigt nochmals weitere Details vor allem für die offensive Ausführung des Tani Otoshi. (In englischer Sprache)
Tani Otoshi als Standtechnik
Eigentlich ist Tani Otoshi ja eine Selbstfalltechnik zur Seite (Yoko Sutemi Waza). Hier wir aber eher eine Handwurftechnik (Te Waza) daraus.
Der erfolgreiche japanische Wettkämpfer Takahiro Nakai stellt eine unorthodoxe Variante Tani Otoshi als Standtechnik vor. Es erinnert mich jetzt eher an einen Irimi Nage aus dem Jiu Jitsu. Aus
der Video-Plattform YouKu in japanischer Sprache, aber die Aktionen sprechen sehr deutlich. Takahiro Nakai baut seine Technik nach dem Muster
Aktion-Reaktion-Aktion auf, indem er Uke mit einer Tai-Otoshi-ähnlichen Technik nach vorne angreift, worauf Uke ausweicht und sich gegen Toris Zug wieder aufrichtet. Diese aufrichtende Bewegung
führt Tori nach hinten weiter und wirft Uke mit einer Tani-Otoshi- / Waki-Otoshi-ähnlichen Bewegung, ohne aber mitzufallen. Leider ist dieses Video mittlerweile nicht mehr auf YouKu
verfügbar.
In einer Karate-Illustration habe ich ebenfalls einmal einen Tani Otoshi gesehen, der der obigen Technik sehr nahe kommt. Allerdings handelte es sich nicht um den Tani Otoshi aus Funakoshi Shihans Aufzeichnungen, der praktisch ein Ippon Seoi Nage ist.
Tani Otoshi als Bodentechnik
Das Prinzip von Tani Otoshi lässt sich auch im Boden anwenden, wenn Uke sich in der Bank befindet. Du hast ihn danach gleich in einem Haltegriff aus dem Du sich weiterarbeiten kannst bis zur Submission Ukes. (Vom YouTube-Kanal 'All about Judo')
Tani Otoshi in MMA, BJJ und in der Selbstverteidigung
Im Brazilian Jiu Jitsu (BJJ) ist der Tani Otoshi aka Rear Takedown einer der ersten Würfe, die Du lernst. Auch in den Mixed Martial Arts und im Ringen ist dieser Wurf sehr beliebt. Die wichtigste Taktik von Grapplern ist es, einen schlagenden Gegner unter seinem Schwerpunkt zu unterlaufen und ihn zu Boden zu bringen, um die überlegenen Fähigkeiten des Grapplers gegen den Nicht-Grappler voll auszuspielen. Dies gelingt mit dieser Wurftechnik gut, wie Du im folgenden Video-Demo von Gracie Jiu Jitsu Immersion China sehen kannst. Stoff greifen ist hier natürlich tabu.
Für die Selbstverteidigung halte ich den Tani Otoshi nur bedingt geeignet. Bei relativ weichem Untergrund und wenn kein Risiko besteht, dass Dein Gegner noch Freunde bei sich hat bzw. vorbeikommen könnten, kannst Du als versierter Bodenkämpfer einen Bodenkampf riskieren. Besser halte ich es aber, den Tani Otoshi gegen einen Ko Soto Gari oder O Soto Gari einzutauschen, weil Du dann stehen bleibst und flexibler agieren kannst.
Die Vorteile von Tani Otoshi
- Tani otoshi greift gleichzeitig alle drei wichtigen Punkte des Gegners an, um einen Wurf optimal zur Wirkung zu bringen: Kopf / Nackenbereich (Schub & Zug nach unten bringen Ukes Gleichgewicht nach hinten), Hüfte (Überstrecken) und Füße (Gleichgewicht auf dessen Fersen bringen) gegen die Du Dein gesamtes Körpergewicht wirfst (Sutemi)
- Der Eingang kann auch fast wie bei O Soto Gari gemacht werden, der einer der erfolgreichsten Angriffswürfe im Judo überhaupt ist
- Der Wurf ist relativ einfach zu erlernen - auch beidseitig.
- Der Wurf ist offensive wie auch defensiv sehr gut einsetzbar.
- Richtig ausgeführt ist die Wahrscheinlichkeit, Tani Otoshi mit Ippon zu werfen, sehr hoch.
- Am Boden angekommen, bist Du sofort in einer dominanten Kontrollposition wie Yoko Shiho Gatame oder Gyaku Gesa Gatame.
Die Nachteile von Tani Otoshi
- Du kannst diesen Wurf nur einmal ansetzen. Dann geht es in den Bodenkampf, wenn Du keinen Ippon wirfst. Du musst also versiert in Ne Waza sein.
- Der Wurf ist für die Selbstverteidigung nur bedingt geeignet, weil man im Ernstfall besser nicht freiwillig in den Bodenkampf geht. Insbesondere wegen dem Risiko, von weiteren stehenden Gegnern angegriffen zu werden, wäre sehr gefährlich, wenn Du am Boden bist und gerade mit einem anderen Gegner beschäftigt bist. Falls Du doch Tani Otoshi im Ernstfall anwenden solltest, ist es ratsam, möglichst schnell wieder in eine Position zu gehen, die Dir zur Not erlaubt, Deinen Standort zu wechseln und Deinen Gegner am Boden auszuschalten bzw. zu kontrollieren, wie Knee-on-belly aka Uki Gatame.
Worte der Warnung zum Tani Otoshi
Wenn Du Dir die Kodokan-Version des Tani Otoshi ansiehst, wird Dir auffallen, dass Tori das Bein von Uke nicht berührt bzw. blockiert. Das hat auch seinen guten Grund.
Viele Würfe, die man der Einfachheit als Tani Otoshi zählt oder Varianten davon, blockieren Ukes Bein. Geschieht das in einer sehr unglücklichen Situation, wenn Uke seine Beine nicht mehr unter Kontrolle hat und seine Beine sprichwörtlich etwas 'verknotet' sind und dabei sogar das Kniegelenk angegriffen wird, indem Toris Knie in Ukes Knie hineindrückt, hineingrätscht, mit dem Bein klammert oder während des Kake Toris gesamtes Körpergewicht auf Ukes Kniegelenk fällt, sind schwere Verletzungen vorprogrammiert.
Normalerweise verteidigen Judoka ihre Spezialtechniken damit, dass sie ihre Tokui Waza bis zur Perfektion trainiert haben. Ergo kann da gar nichts passieren. Wenn dann doch etwas passiert, dann ist Uke schuld, weil Uke sich böld angestellt hat. Ende der Diskussion. Das ist aber nicht der Sinn des Judo. Tori ist für seinen Uke verantwortlich. Das ist Judo.
Mit Tani Otoshi hast Du einen vielseitigen Wurf kennen gelernt, der weit vielseitiger einsetzbar ist als nur zum Kontern. Wenn Du Judoka bist oder aus einer anderen Kampfkunst kommst, hoffe ich, dass ich Dir eine interessante Technik näher gebracht habe, mit der Du vielleicht auch in Zukunft häufiger arbeiten möchtest. Ich wünsche Dir viel Spaß dabei!
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Benjamin Harbs (Mittwoch, 11 Januar 2017 12:57)
Ein richtig guter Artikel zum Tani-Otoshi.
Schön geschrieben und super zu verstehen. Gerne mehr davon!
Julian (Mittwoch, 01 Februar 2017 00:48)
Ich finde dein Artikel zu Tani Otoshi super geschrieben.
Auch ich neige dazu, in Radori diesen Sutemi-Waza-Wurf anzuwenden. Wenn man allerdings im Leistungssport vorankommen möchte, sollte man eher Wert auf die von deinem Trainer erwähnten Würfe legen. Wenn sich die Chance ergibt, ist Tani-Otoshi immer noch eine gute Variante!
Es würde mich freuen, wenn du auch zu anderen Würfen oder Techniken ein Artikel schreiben würdest.
Mrs Smith (Samstag, 11 Februar 2017 15:51)
Was sie über Tani Otoshi sagen klinkt gut aber es sieht so aus als würden sie Judo nicht verstehen.
Judo hat tausende von facetten aber an sich ist Judo nie defensive.
Judo basiert auf Aktion und Reaktion soll heisen Sutemi-Waza könnten zu deinen Favoriten gehören aber das ist
wahrscheinlich weil du schwach bist und angst hast dich weiter zu entwickeln.
Gucken sie sich hier wahres Judo an:https://www.canal-sport.fr/fr/expertise-des-champions/boulouris_champions_isao_okano-mp4.