In der Bundesrepublik Deutschland geben wir grundsätzlich unsere Stimme an die Politiker unserer Wahl ab, damit sie in den Parlamenten unsere Interessen vertreten. Dies nennt sich eine Repräsentativen Demokratie. Der Volksentscheid ist selten in Deutschland.
In Großbritannien sprach sich das Volk im Juni 2016 in einem Volksentscheid gegen eine weitere Mitgliedschaft in der Europäischen Union aus. Der Brexit war ein historisches Ereignis.
Von neuen Parteien in Deutschland wird auch der Ruf nach mehr Entscheidungsmacht direkt vom Volk verlangt, weil viele Bürger ihre Interessen durch die Politiker nicht mehr vertreten sehen. Hilft im Zweifel der Volksentscheid?
Direkte Demokratie - das Machtwort vom Volk
Gerade auch Europaebene haben wird bezüglich demokratischer Strukturen noch massiven Nachholbedarf: Fachausschüsse erarbeiten, in der Regel mit den Lobbies der jeweiligen Branche, industriefreundliche Gesetzesentwürfe, die vom EU-Parlament dann nur genehmigt oder abgelehnt werden können. Nicht selten bekommen die EU-Parlamentarier die Gesetzesentwürfe nicht ausreichend lange zur Prüfung vorgelegt, um sich tief genug in die Materie einarbeiten zu können, die zu einer kompetenten Entscheidung führen könnte. Im Falle von TTIP mussten die Abgeordneten sich ein Recht auf (beschränkte) Einsicht der Entwürfe erst erkämpfen. Abgelehnten Gesetzesentwürfen folgen oft noch schärfer formulierte Gesetzesentwürfe. Mit echter Demokratie hat das nicht mehr viel zu tun.
Als aktuelles Paradebeispiel für einen nationalen Volksentscheid möchte ich hier den Austritt von Großbritannien aus der EU, kurz Brexit, anführen: Großbritannien will sich mit seinem Volksentscheid vor allem von der unerwünschten Fremdbestimmung aus Brüssel lösen und seine Souveränität wieder zurück erlangen. In weiser Voraussicht hatten die Briten den Euro erst gar nicht eingeführt, denn dies macht erst wirklich Sinn, wenn alle Mitgliedstaaten mit einer soliden Wirtschaft sich zu einem Gesamteuropa entschließen würden, der aus Brüssel regiert wird. Die Frage ist, ob die Völker Europas dies wirklich wollen? Ich denke, einen Superstaat Europa, wo einst souveräne Länder nur noch als von Brüssel abhängige Unterregionen existieren, will die Bevölkerung mehrheitlich nicht. Ein Europa als Verband der souveränen Vaterländer, die gemeinsam große Ziele für ein starkes Europa erreichen, wäre hier für die Bürger der deutlich bessere Weg. Die meisten Länder wurden bei der Einführung des Euro sicherheitshalber erst gar nicht gefragt oder zweimal gefragt, wenn die erste Entscheidung Brüssel nicht gefallen hatte. Eine fehlende Vertrauensbasis innerhalb einer Gemeinschaft ist kein gutes Fundament. Die EU befriedigt derzeit leider deutlich mehr industrielle Interessen als Bürgerinteressen und toleriert nicht wirklich Kritik. Der Brexit war für mich ein Warnschuss an die EU.
Der Brexit wurde vor allem in den von Medienmogul Rupert Murdoch geführten Medien massiv in die Öffentlichkeit getragen. Unter den Politikern hatten sich Boris Johnson und Nigel Farage ganz besonders für einen Brexit stark gemacht. Als der Brexit dann per Volksentscheid knapp bestätigt war, zogen sich diese beiden Brexit-Redelsführer sehr schnell aus der Öffentlichkeit zurück. Nicht die feine, englische Art will ich meinen. Sollte man von solch überzeugten Brexit-Befürwortern nicht erwarten können, dass sie gerade jetzt bereit sein sollten, mehr Führungsverantwortung zu übernehmen? Es gibt mehrere Vermutungen, dass Rupert Murdoch ganz gezielt mit seinen Medienkampagnen das Volk in Richtung Brexit manövrieren sollte, um bestimmte politische Interessen seiner Auftraggeber im Hintergrund zu erfüllen. Mit Theresa May hat Noch-Großbritannien jetzt eine neue Eiserne Lady 2.0 als erste Premierministerin für die Post-Brexit-Ära gewonnen. Leicht wird es in Zukunft nach dem Brexit nicht für England werden. Ich denke, die EU wäre für Großbritannien das kleinere Übel gewesen als der Brexit.
Den folgenden Kommentar unseres deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zum Brexit empfinde ich in einem Land, das sich demokratisch nennt, als selbstdisqualifizierend: "Die Bevölkerungen sind das Problem."
In einer Demokratie kann das Volk niemals das Problem sein. Das geht nur in einer Diktatur. Darum erwidere ich: "Antidemokratische Politiker sind das Problem in einer Demokratie." Und es ist, nach meiner Meinung, in einer Demokratie die Pflicht des Staates, ihren Volk die Informationsfreiheit zu gewähren oder besser gleich vielseitige Informationen zur Verfügung zu stellen, dass sie entscheidungskompetent sind oder werden können.
Ich selbst hatte 1996 während meines Studiums einen Volksentscheid auf Landesebene miterlebt, als es um die Zusammenlegung der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg ging. Wir wurden auf unserer Fachschule von Offiziellen zu einer Informationsveranstaltung besucht, die uns das Fusionsprojekt erklären und für Fragen zur Verfügung stehen sollten. Die Ausrichtung der Offiziellen war offenkundig, da fast nur Argumente pro Fusion angeführt wurden und auf kritische Fragen keine oder nur unbefriedigende Antworten folgten. So wunderte es mich nicht, dass sich die Bevölkerung von Berlin und Brandenburg dann im Volksentscheid gegen die eigentlich sehr sinnvolle Fusion entschieden hatten.
Der Volksentscheid als politische Normalität
Das Best-Practice-Beispiel für direkte Demokratie finden wir traditionsgemäß in der Schweiz. Hier widerlegen sich die Vorurteile vom dummen, überforderten und entscheidungsunwilligen Volk vieler neoliberaler und antidemokratischer Politiker auf's beste:
Der Volksentscheid auf Bundesebene - wie sinnvoll wäre es für Deutschland?
Die Möglichkeit zur Mitbestimmung im eigenen Land motiviert ihre Bürger offensichtlich. Natürlich muss es dazu einen gewissen völkerrechtlichen Rahmen geben, der nicht angetastet werden darf. Als Negativbeispiel haben wir nach dem gescheiterten Putsch gegen Ministerpräsident Erdogan im Juli 2016 viele Stimmen aus dem Volk, die eine Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei fordern. Damit verspielt sich die Türkei nun endgültig die Möglichkeit der Aufnahme in die EU auf lange Zeit.
Ein Volksentscheid ist auf regionaler und Landesebene möglich und sollte in Deutschland auch auf Bundesebene möglich werden. Ich sehe mehr direkte Demokratie auch als eine Art der Vetomöglichkeit für die Bürger. Politiker müssen sich wieder an den Bedürfnissen des Volkes und nicht an den Konzernen orientieren. Direkte Demokratie wäre damit auch eine Korrektur- und Kontrollmöglichkeit des Volkes während der Amtszeit ihrer Volksvertreter.
Mehr direkte Demokratie wird ein Lernprozess für das Volk
Spätestens seit den Neunzigerjahren entwickelte sich die deutsche Gesellschaft für mich immer mehr in eine egoorientierte Gesellschaft. Mit dem aufkommenden Neoliberalismus verschärfte sich die Situation. Immer mehr Ellenbogengesellschaft, der zunehmende Überlebenskampf am Arbeitsmarkt, der schleichende Zerfall der Mittelschicht, die Umstrukturierung der Politikerszene in eine elitäre Kaste und immer Erfolg um jeden Preis! Parallel dazu bekamen wir die schier endlose Informations- und Kommunikationsquelle des Internet, die unsere Gesellschaft sehr nachhaltig veränderte.
Dies sind keine Idealbedingungen, um als Bürger politische Entscheidungen mit Blick über den eigenen Tellerrand mitzugestalten. Jeder denkt nur an seine eigenen Vorteile. Die Einen aus reiner Gier. Die Anderen, weil sie sonst nicht genug zum Leben haben. Aufgrund des allgemein gestiegenen Stresslevels im Alltag hat man meist keine Lust oder keine Zeit mehr, sich nach Feierabend noch mit Politik groß auseinanderzusetzen. Wie bequem ist es, seinen gewählten Volksvertretern viele wichtige Entscheidungen zu überlassen. Du kannst Deinen Abgeordneten auf städtischer, Landes-, Bundes- und EU-Ebene Deine Meinung und Bedürfnisse schreiben, was immer noch zu wenige Leute tun. Wenn die Damen und Herren Volksvertreter sich denn im Rahmen der Interessen ihrer Wähler einsetzen würden, wäre dies ja noch akzeptabel. Leider bedienen Politiker heute aber immer mehr die Interessen von großen Konzernen, deren Interessen der Bevölkerung in der Regel gegensätzlich gegenüberstehen. Wahlversprechen werden gemacht, um gewählt, nicht umgesetzt zu werden. Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel gab dies ganz unverblümt öffentlich zu: "Man kann sich nicht darauf verlassen, dass das, was vor den Wahlen gesagt wird, auch nach den Wahlen gilt." Horst Seehofers berüchtigtes Zitat bring es noch deutlicher auf den Punkt: "Die die gewählt sind, haben nichts zu sagen. Und die was zu sagen haben, sind nicht gewählt." Politiker, die nicht mehr frei entscheiden können, weil sie von Lobbyverbänden der Industrie kontrolliert werden oder sogar direkt aus der Industrie kommen, können bzw. wollen ihren Auftrag vom Volk gar nicht durchführen. Mehr direkte Demokratie kann helfen, dass solche antidemokratischen Zustände eingedämmt werden können.
Die Menschen, die heute mehr direkte Demokratie fordern, sind mit großer Mehrheit Leute, die sich aktiv und konstruktiv in die Gesellschaft einbringen wollen. Ein sehr gutes Beispiel sind hier die Aktionsbündnisse gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, die praktisch eine Herrschaft der Konzerne über dem geltenden Recht der Länder legalisieren wollen. Hier handelt es sich für mich um einen Versuch, in Deutschland unsere nach GG Artikel 20 (4) verfassungsmäßige Ordnung (z. B. demokratische Strukturen) indirekt abzubauen. Wir Deutschen hätten also das Recht und die Pflicht zum Widerstand, wenn alle Rechtsmittel gescheitert sind.
Hohlköpfe vom linken und rechten extremen Rand der Politik und Stammtischpolitiker werden nach meiner Meinung in der Minderheit bleiben, weil sie tatsächlich zu dumm für komplexe Zusammenhänge sind oder auch nicht das Durchhaltevermögen haben, genügend Bürger zu mobilisieren. Leider kann man immer noch zu viele Bürger dazu bringen, bequem in Richtung Fußball, Fernsehserien und Talkshows wegzuschauen. Für alle am unteren sozialen Rand sorgt HARTZ IV, dass niemand wirklich Hunger leiden muss. "Satt geht nicht auf die Straße.", fällt mir dazu nur ein. Es ist ja auch kein Zufall, dass brenzliche, politische Themen zu Fußballweltmeisterschaften oder in den Sommerferien im Bundestag entschieden werden, damit möglichst wenige Leute den Entscheidungsprozess mitbekommen. Am Ende folgen vollendete Tatsachen.
Wer wirklich etwas zu Gunsten aller ins Positive ändern will, muss sich ernsthaft mit vielen Themen auseinander setzen. Politikverdrossenheit oder Resignation bringen uns jedenfalls nicht weiter. Wenn die Bürger sehen, dass sie mit ihrer Stimme tatsächlich etwas erreichen können - auch wenn es sich später als Fehlentscheidung herausstellen sollte - werden die Bürger ihr Stimmrecht wieder gerne und mehr wohl überlegt einsetzen. Die Bereitschaft, wieder Verantwortung zu übernehmen, anstatt sie abzugeben, ist für mich der Schlüssel zum Glück. Mitdenken und Mitentscheiden für Deutschland muss für Bürger wieder attraktiv werden.
Hier folgt eine vielseitige Diskussion im ZDF-Magazin login zum pro und contra direkter Demokratie:
Ich habe den Eindruck, dass die Obrigkeit gar kein wirkliches Interesse daran hat, dass wir vielseitig und umfangreich informiert werden. Wirklich gute und kritische Sendungen laufen im Fernsehen meist spät abends. Sich über das Internet zu informieren, verlangt die Kompetenz, zwischen guten und weniger guten Quellen unterscheiden zu können bzw. die tatsächlichen Interessen der Autoren zu erkennen, die eben nicht immer uneigennützig sind. Sogenannte anerkannte und seriöse Quellen sind keinesfalls ein Garant für qualitativ gute und vielseitige Informationen. Dafür sorgen schon die Eigentümer der jeweiligen Medienhäuser, die ja auch eigene Interessen haben, um nicht ins Zwielicht zu geraten. Die Verunglimpfung von Leuten, die eine 'nicht politisch korrekte' (sprich unerwünschte) Meinung haben, verträgt sich auch nicht mit den Grundsätzen einer gesunden, demokratischen Kultur. Werde aktiv!
In meiner Kommentarzeile seid Ihr nun gerne zur Diskussion aufgefordert.
Kommentar schreiben