· 

Brazilian Jiu Jitsu - der ursprüngliche Geist des Judo lebt weiter!

Das brasilianische Jiu Jitsu ist eine der aktuell beliebtesten Kampfsportarten / Kampfkünste weltweit.

 

Brazilian Jiu Jitsu hat sich unter den schwierigsten Bedingungen in der Kampfsportszene einen festen Platz erobert: im stiloffenen Vollkontaktkampf mit sehr wenigen Regeln - der Königsdisziplin.

 

BJJ hat sich mit einem guten Marketing zu einem Lifestyle, zum einem echtenLebensgefühl entwickelt, von dem Kleinkinder genau so begeistert sind wie betagte Senioren - ob Mann oder Frau - Breitensportler oder Leistungssportler. Aber was unterscheidet BJJ jetzt vom Judo?

Das Brazilian Jiu Jitsu hat sich aus dem Judo entwickelt und sich den ursprünglichen Charakter des frühen Kodokan Judo bewahrt.
Das Brazilian Jiu Jitsu hat sich aus dem Judo entwickelt und sich den ursprünglichen Charakter des frühen Kodokan Judo bewahrt.

1882 gründete Jigoro Kano seine erste eigene Jiu- Jitsu-Schule, die er Kodokan nannte. Das Kano-Jiu-Jitsu war technisch wesentlich eleganter  als die anderen Jiu-Jitsu-Schulen, die seit der Edo-Epoche (17. und 18. Jahrhundert) am florieren waren. Jiu Jitsu war damals als militärisches Nahkampfsystem erdacht worden. Unterlegene Gegner wurden in der Regel getötet. Um sportliche Vergleiche zu ermöglichen, sortierte Jigoro Kano alle lebensgefährlichen Techniken  sowie Schlag- und Trittechniken bei sportlichen Vergleichen aus. Sportliche Vergleiche hatten damals aber häufiger Verletzte und vereinzelt auch (Unfall-)Tote zur Folge.

 

Damit Jigoro Kano sein Kano-Jiu-Jitsu bekannt machen konnte, nahm er mit seinen besten Schülern regelmäßig an Vergleichskämpfen mit anderen Jiu-Jitsu-Schulen teil, die er meistens gewann. Kanos Judo erkämpfte sich den Ruf, dass es sich gegen jede andere Kampfkunst erfolgreich durchsetzen konnte. Damit Stand Judo bald im Rampenlicht der japanischen Öffentlichkeit und der Regierung.

 

Obwohl Jigoro Kano alle lebensgefährlichen Techniken verbannt hatte, durften im Training und bei Wettkämpfen bis nach dem 2. Weltkrieg noch wesentlich mehr Techniken eingesetzt werden als heute. Seitdem Judo olympische Disziplin und Leistungssport ist, schritt die Versportlichung des Judo immer weiter voran. Selbst viele hoch graduierte Judolehrer beherrschen heute nicht mehr die komplette Technikvielfalt der Kampfkunst Kodokan Judo, weil sie sich Zeit ihrer Laufbahn fast nur dem Wettkampfaspekt (Judo vs Judo) gewidmet haben, was irgendwie nachvollziehbar ist, ich aber trotzdem sehr schade finde!  Im Judo-Breitensport arbeitet man dieser Degeneration erfreulicherweise seit ein paar Jahren entgegen. Es gibt auch einige Judoka, die erfolgreich an MMA-Turnieren teilnehmen.

 

Mitsuyo Maeda, ein 7. Dan Kodokan Judo, unterrichtete in Brasilien in den 1920ern Carlos Gracie, der sein Jiu Jitsu / Judo an seinen jüngeren Bruder Helio Gracie weitergab. Da Helio Gracie mit seinen damals 16 Jahren sehr klein, leicht und schwächlich war, musste er die Techniken so intelligent modifizieren, dass er sie selbst überhaupt erfolgreich gegen die meist viel schwereren und kräftigeren Gegner ausführen konnte. Das war die Geburtsstunde des Brasilianischen Jiu Jitsu!

 

Carlos und Helio Gracie gaben bis zu ihrem Tod ihr Jiu Jitsu in ihrer ganzen Familie weiter. Diese Kette ist bis heute nicht unterbrochen worden.  Sie eröffneten damals auch die erste Schule für Gracie Jiu Jitsu in Rio de Janero.

 

Warum Jiu Jitsu und nicht Judo?

Die Gracie-Brüder verbreiteten ihr Jiu Jitsu so, wie sie es von Maeda Sensei vorgelebt bekommen hatten: im Stil der Pionierzeit des Kodokan Judo. Sie ließen keine Möglichkeit von Vergleichskämpfen mit anderen Kampfsportlern aus und kämpften natürlich auch unter einander. Das Prinzip, wie ein Kampf gewonnen oder verloren werden konnte, war einfach und eindeutig: entweder machte man seinen Gegner kampfunfähig oder zwang ihn zur Aufgabe - tap out or pass out. Das war praktisch die einzige Regel im BJJ.

 

Die damaligen Judo-Offiziellen aus Japan bekamen natürlich Wind davon, dass ihr Judo in Brasilien solch einen Siegeszug hatte. Man bot den Gracie-Brüdern an, das Brasilianische Jiu Jitsu offiziell auch als Judo zu bezeichnen und zu einem sportlichen Punktewettkampf mit Zeitlimit zu machen. Das gefiel den Gracies so gar nicht, weil es ihr System zu weit von der Realität eines realistischen Zweikampfes entfernt hätte. Darum legten die Gracies großen Wert darauf, nicht mit einem mittlerweile total versportlichtem Judo in einen Topf geworfen zu werden, obwohl beide die gleichen Wurzeln haben und das BJJ sich seinen Charakter als realistische Kampfkunst deutlich besser erhalten hat als das Judo. Heutzutage existiert in Brasilien auch eine eigenständige Judo-Szene.

 

Dank der Gracies wurde BJJ auch von Anfang an als Lifestyle vermarktet. Es gibt beispielsweise eine spezielle Gracie Diet. Hersteller von BJJ-Anzügen überschlagen sich teilweise mit hippen und originellen Designs, während  Judogis fast alles stromlinienförmig durchgenormt sind. Judo war in den 60er, 70er bis in die 80er en vogue und wurde ab dann in erster Linie eine Kampfsportart. Wenn man bedenkt, dass BJJ und der Judo-Kampfsport aus der selben Wurzel und damit aus der selben Philosophie entstanden sind, hat sich für mich das BJJ den Geist des Kodokan Judo bis heute ungebrochen bewahrt.

 

Im folgenden Doku-Video erläutern einige Superstars des BJJ ihren Weg im Jiu Jitsu und ihre persönliche Beziehung dazu. Höchst motivierend! (in englischer Sprache)

Auch im BJJ haben sich zwei Linien entwickelt: die einen wollen BJJ als Freizeitsport mit hohem Selbstverteidigungswert erlernen, was sehr den ursprünglichen Vorstellungen der Gracie Familie entspricht. Die andere Linie ist mehr auf Wettkämpfe fixiert. Der BJJ-Wettkampf hat mit den Jahren an technischer Komplexität und teilweise sogar Artistik zugelegt. Die Gracies sind für ihre Wettkampferfolge berühnt, mögen es aber technisch grundsolide und klassisch. Das ist ganz besonders bei interdisziplinären Vollkontakt-Wettkämpfen wie dem UFC oder in MMA wichtig, wo für Spielereien kein Platz ist.

 

Technisch gesehen, ist die damalige Modifizierung von Grandmaster Helio Gracie äußerst effektiv. Ein Blue Belt im BJJ hält locker mit einem 1. Dan Judo (Schwarzgurt) mit. Dabei muss man aber bemerken, dass der BJJler extrem bodenkampfaffin spezialisiert ist und der Judoka meist sehr erfahren im Standkampf ist. Zwei Gegenpole eben. Im Gegensatz zum Judo kann im BJJ beispielsweise ein Wettkampf nicht vorzeitig mit einem sauberen Wurf im Stand (mit Ippon) beendet werden. Daher ist in einem freundschaftlichen Sparring der Gedankengang des BJJlers "Ich bin vielleicht nicht so gut im Standkampf wie Du, aber am Boden gehörst Du mir!" Es gibt noch einige weitere Unterschiede zwischen den Judo- und BJJ-Wettkampfregeln. Interessant ist, dass im BJJ mit steigender Graduierung auch mehr Techniken wie Hand- und Beinhebel im Wettkampf erlaubt sind, die im Judo schon lange ad acta gelegt wurden. Ursprünglich kommen diese Techniken und mehr aus dem Kodokan Judo und wurden noch bis in die 60er an fortgeschrittene Judoka unterrichtet.

 

Sehr erwähnenswert finde ich das Graduierungssystem im BJJ. Es gibt, wie im Judo, auch verschiedenfarbige Gürtel, die den Wissensstand und das Können des Trägers anzeigen sollen. Im BJJ werden diese Gürtel, so wie früher in der Pionierzeit des Kodokan Judo, nach langfristiger Beobachtung des Schülers durch seinen Lehrer verliehen. Das stellt sicher, dass dieser Schüler seine Graduierung auch wirklich zu 100% wert ist. Allerdings gibt es auch im BJJ teilweise kommerzielle Tendenzen mit Graduierungslehrgängen, die dann oft auch nicht billig sind.  Der Ruf Deines Lehrers ist im BJJ also wichtig, wenn Du mal zu einem anderen Lehrer wechseln möchtest - so wie es  ganz früher mal in Asien war.

 

Brazilian Jiu Jitsu hat es mit der Zeit auch sehr intelligent verstanden, für Frauen attraktiv zu werden. Frauen sind in Kampfkünsten eher seltener anzutreffen. Die Welle im Judo aus den 70er und 80ern, wo es in Judo-Gruppen teilweise einen Frauenanteil bis zu 50% gab, ist längst vorbei. Das folgende Video in Englisch zeigt, dass BJJ auch sehr kraftvoll, schön und weiblich sein kann: Strong Beautiful Me!

BJJ wurde und wird immer so trainiert, dass man nicht nur auf einen Gegner eingestellt ist, der auch nur Jiu Jitsu, sondern auch Fremdtechniken beherrscht. Das im Judo kürzlich erlassene Verbot, für Wurftechniken im Wettkampf nicht mehr die Beine gegriffen werden dürfen, wäre beispielsweise gegen einen Boxer sinnlos, wenn Du ihn vorher nicht clinchen würdest. Darum werden im BJJ allgemein lieber die Beine angegriffen und der Schwerpunkt des Gegners unterwandert. Das übliche Greifen von Stoff im Judo hält sich im BJJ auch in Grenzen. Bei No-Gi-Wettkämpfen (ohne Anzug)  oder zur Selbstverteidigung ist das Greifen der gegnerischen Kleidung eher riskant als hilfreich. 

 

Das was im sportlichen Wettkampf der größte Vorteil des BJJ ist, könnte im Ernstfall auf der Straße schnell zur tödlichen Falle werden: die Forcierung des Bodenkampfes. Am Boden bin ich in meiner Bewegung und vor allem in einer nötigen Fluchtmöglichkeit klar eingeschränkt. Spätestens wenn ich mit einem Gegner über mir am Boden liege, und seine Kumpels zu Hilfe eilen, um mit meinem Kopf Fußball zu spielen, wird mir das schnell einleuchten oder meine Lichter werden ausgehen. BJJ hat auch gute Waffen im Stand, um sich im Ernstfall zu wehren und in Bewegung zu bleiben.

 

Das folgende Video zeigt die empfohlene Verhaltensweise bei der Annäherung eines möglichen Angreifers und das Vorbereitetsein auf Überraschungsangriffe (Sucker Punch). Hier wird deutlich, dass sich das BJJ realitätsnah mit solchen Straßenangriffen auseinander gesetzt hat, was leider noch immer bei einigen anderen Kampfsystemen vernachlässigt wird. (in englischer Sprache)

Mein Fazit: Judo und BJJ

 

Mit diesem Blogartikel sollte kein 'Was ist besser'-Vergleich entstehen. Ich bin der Meinung, dass Judoka und Brazilian Jiu Jitsuka viel von einander lernen können. Jede dieser beiden Disziplinen hat seine Besonderheiten entwickelt. Beide Seiten kämen so zu einem besseren Verständnis, was Kodokan Judo einmal gewesen war. Es scheint fast schon so etwas wie ein Yin & Yang für mich. Viele Praktizierende haben mit diesem Dialog bereits begonnen...und ich hoffe, es werden noch viele mehr!

 

P.S.: BJJ hat definitiv die coolere Trainingskleidung. Daran könnte das Judolager noch etwas arbeiten. Was ich damit meine, findest Du hier:

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Mrs Smith (Samstag, 11 Februar 2017 15:35)

    Ich habe keine Probleme wenn sie versuchen ihre Leser über BJJ zu Informieren.
    Aber ich habe ein gewaltiges Problem wenn sie sich Fakten ausdenken.
    Ihnen ist schon klar das Meada nie 10 dan war?

    Auserdem tun sie so als wäre Helio das große Genie des BJJ.Das stimmt aber nicht.
    Sie alle lernten noch viele jahre danach wahres ,,Jiu jutsu´´ von den ansäßigen Judoka und wie den Legendären Judoka Masahiko Kimura sowie Isao Okano.

    Aber das ist das Deutsche Problem wenn es um Judo geht.
    Ihr nimmt es mit den Fakten nicht so genau.Ich habe aber trotzdem mehr erwartet.

  • #2

    Peter (Dienstag, 26 Dezember 2017 22:48)

    Super Beitrag, danke dir. Die Geschichte zu BJJ ist wirklich sehr spannend. Ich finde auch, dass gerade aus dem Zusammenspiel von Judo und BJJ etwas echt Gutes entstehen kann.
    Mir gefällt beim BJJ vor allem der GI und auch seine Besonderheiten.
    Auf dieser Seite konnte ich darüber auch einiges nützliches lesen. https://bjj-grappling.de/bjj-gi/
    LG Peter

  • #3

    Daniel (Samstag, 20 Oktober 2018 11:37)

    Es wäre wohl sinnvoller, BJJ mit der Kampfkunst Ju Jitsu als mit dem KampSPORT Judo zu vergleichen.